Ehrenamt Essen für Arme.

14.01.2009 12:55

Von Michelle Kossel | © ZEIT ONLINE.
Seit 15 Jahren versorgen die "Tafeln" in Deutschland Bedürftige mit Essen. Doch mit zunehmenden Lebensmittel- und Spritpreisen brauchen die Helfer nun bald selbst Hilfe Das Prinzip der "Tafeln" ist so einfach wie überzeugend: Wer zu viel Essen hat, gibt es denen, die zu wenig haben. Den Transfer zwischen Großküchen, Hotels, Supermärkten und den Bedürftigen übernehmen die freiwilligen Helfer der Hamburger, Berliner oder Münchner Tafel. Vor 15 Jahren wurde die erste Tafel in Berlin gegründet, inzwischen gibt es fast 800 Einzelverbände in Deutschland. Rund 32.000 Menschen arbeiten dort ehrenamtlich als Fahrer, Beifahrer, in der Küche oder der Verwaltung.

Die Essensspender haben eine große Erfolgsgeschichte hinter sich – doch ihre Zukunft sieht düster aus. "Die Zahl der bedürftigen Menschen, die von uns Lebensmittel erhalten, steigt seit Jahren stetig an. Zum Jahresende erwarten wir eine Million Kunden", sagt Gerd Häuser, Vorsitzender des Bundesverbandes. Unter den Betroffenen seien ein Viertel Kinder und Jugendliche, deren Eltern sich die Preise für die Schul- und Kinderspeisungen nicht mehr leisten können.

Ein Grund für die wachsende Zahl der Tafel-Empfänger sind die gestiegenen Lebensmittelpreise: Wirtschaftsinstitute ermittelten, dass Verbraucher heute für den Liter Vollmilch ein Drittel mehr zahlen als 2007. Roggen- und Mischbrot haben sich um sieben Prozent verteuert, die Tafel Schokolade gar um 13 Prozent. "Besonders Hartz-IV-Empfänger, Rentner mit schmalen Bezügen und Mini-Jobber können da nicht mehr mithalten", berichtet Gerlinde Nimz, ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Tafel in Hamburg-Harburg. Das könne man an den Warteschlangen vor ihrer Einrichtung ablesen, erzählt die 72-Jährige. Waren es 2007 durchschnittlich 800 Hilfsbedürftige pro Woche, denen Nimz und ihr Team Lebensmittel reichten, so sind es jetzt 1000. Tendenz steigend. Besonders am Monatsende sei es hart, sagt Nimz. "Dann stehen 50 Leute zusätzlich vor dem Tresen."

Gegen einen Obulus von einem Euro erhalten die Tafel-Kunden einen möglichst ausgewogenen Warenkorb aus Obst, Gemüse und anderen Nahrungsmitteln. Außerdem beliefert die Tafel noch Arbeitsloseninitiativen, Drogenhilfen und Mädchentreffs.

Während die Zahl der Empfänger steigt, sinkt gleichzeitig das Angebot der Geber. Nicht nur die Verbraucher müssen beim Einkaufen auf ihr Geld achten, auch die großen Supermarkt- Ketten, von denen die Tafeln den Großteil ihrer Ware erhalten, kalkulieren knapper. "Supermärkte sind aufgrund der höheren Einkaufspreise für die Waren nicht mehr so freigebig. Die verramschen die Ware, die kurz vor dem Ablaufen des Mindesthaltbarkeitsdatum steht, lieber in Sonderverkaufsecken, als sie uns zu geben", berichtet Nimz. Ein Drittel weniger Lebensmittel als vor einem Jahr habe die Harburger Tafel in diesem Jahr zur Verfügung gehabt.

Andreas Krämer, Pressesprecher des Kölner Supermarktkonzerns Rewe, weist diese Kritik zurück. "Nach wie vor erhalten die Tafeln von uns Produkte, deren Haltbarkeitsdatum kurz vorm Ablaufen ist." Allerdings: Wie die Pächter der einzelnen Rewe- Geschäfte vor Ort mit den Produkten verfahren, liege nicht im Verantwortungsbereich des Unternehmens.

Da diese Filialleiter nach ihrer Umsatzstatistik bewertet werden, sind einige nicht gerade zimperlich. Die Tafeln bekommen nur noch das, was kein anderer mehr will: Waren, die das Haltbarkeitsdatum überschritten haben oder sogar schon vergammelt sind.

"Mit Lebensmitteln wird es immer schwieriger. Die Ware, die abgelaufen ist, dürfen und wollen wir hier nicht mehr anbieten", sagt Barbara Kotte, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Kieler Tafel. Auch dort drängen sich deutlich mehr Menschen an den Abgabestellen als im Vorjahr. Pro Tag verzeichnen die ehrenamtlichen Helfer etwa neun Neuanmeldungen, darunter viele Rentner mit schmalen Bezügen und Alleinerziehende mit Kindern. "Wir wirtschaften hier nur mit den Spenden, die wir erhalten", sagt Kotte. "Wir sind auf den guten Willen vieler Unternehmen und Organisationen angewiesen." Aus staatlichen Töpfen erhalten die Essensverteiler nichts.

Wenn es Versorgungs-Engpässe gibt, muss Barabara Kotte Erfindungsreichtum beweisen. Zwischen den verschiedenen Tafeln in Schleswig-Holstein gibt es einen regelrechten Tauschmarkt: So werden die Kieler von einer Einrichtung in Dithmarschen, die gute Kontakte zu einem Pizza-Hersteller pflegt, mit italienischen Teigwaren versorgt. Im Gegenzug gibt es dann Würstchen, die von der Kieler Woche übrig geblieben sind. Für die Ehrenamtler eine enorme logistische Aufgabe.

Die 30 Fahrer müssen dafür lange Strecken zurücklegen. "Und das bei den hohen Spritpreisen. Die Tankfüllungen müssen von den Spenden finanziert werden. So viel Geld ist kaum noch einzuwerben", klagt Kotte. Spender zu finden ist ein mühsamer, oft erfolgloser Weg: "Wir haben das Mineralöl-Unternehmen Shell um Benzingutscheine gebeten", sagt Wolfgang Adicke von der Wilhelmsburger Tafel in Hamburg. Auf die Antwort wartet er noch heute. Da auch Geld für den Bürobetrieb und für die Energiekosten benötigt wird, haben sich die Wilhelmsburger Helfer schweren Herzens dazu durchgerungen, von ihren Kunden statt einem nun zwei Euro für die Lebensmitteltüten zu verlangen.

Einige Tafeln in Schleswig-Holstein sind laut Kotte sogar schon dazu übergegangen, nur noch im vierzehntägigen Rhythmus Waren zu verteilen oder sogar Wartelisten einzurichten. Nur wenigen Einrichtungen gelänge es, gar keine Gebühren von den Bedürftigen zu nehmen, sagt Monika Zinn, Vorstandsvorsitzende der Tafel in Bad Bramstedt. "Wir wollen den Armen das Geld lassen. Doch ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht."

Wenn also Ursula von der Leyen am 1. Oktober zum 15. Jubiläum der Tafeln einige der ehrenamtlichen Helfer auszeichnen will, wird die Stimmung nicht euphorisch sein. "Sollte ich vorgeschlagen werden, gehe ich nicht hin", sagt Gerlinde Nimz von der Harburger Tafel. Sie fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. (© ZEIT ONLINE 19.9.2008 - 10:05 Uhr.)

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