Armutsstufe Rot!

20.02.2015 14:43

Bespuckt und beschimpft: Tafel-Mitarbeiter geschockt.

Immer mehr Menschen in Deutschland sind von Armut bedroht. Der Bericht des Paritätischen Verbands offenbart das Dilemma. Vor allem Rentner drohen zu verarmen. Eine Entwicklung, die auch die Tafeln in Deutschland mit wachsenden Kundenzahlen erkennen. Der Druck wächst und macht die Helfer zum Teil selbst zum Ziel von Frustrierten. Eine Entspannung ist nicht in Sicht, zumal immer mehr Flüchtlinge Schutz in Deutschland suchen.



NP/von Carsten Bergmann/Hannover. Wenige Minuten sind es noch. Draußen vor der Tür warten bereits mehr als 100 Menschen, während sich Ilse Gantz ein letztes Mal ihre schwarze schürze richtet. Die 75-Jährige weiß, was sie nun erwartet. Menschen, die nicht genug geld verdienen, um den Alltag zu bestreiten, strömen hier zur Hannöverschen Tafel nach Vahrenheide. Lebensmittel, die von Supermärkten gespendet wurden, füllen die Mägen von mindestens 150 Familien.

Der Andrang ist riesig, und doch geht es hier friedlich zu, wenn die Ehrenamtliche eingemachte Gurken und Frikadellen in den Tüten der Kunden verstaut. längst keine Selbstverständlichkeit – denn auch bei den Tafeln steigt der Druck. Der Kundenstamm wird angesichts wachsender Armut ständig größer. auch steigt der Anspruch, den die Bedürftigen an die Waren stellen. „natürlich kommt es vor, dass einer unserer Gäste sich gegenüber den ehrenamtlichen im Ton vergreift, weil er die Tafel mit einem Supermarkt oder einer Behörde verwechselt“, berichtet Katja Keßler aus dem Vorstand der Hannöverschen Tafel. Die Einrichtung versorgt pro Monat mehr als 4000 Erwachsene und 2000 Kinder.

In Hannover fängt die Tafel Konflikte ab, indem sie mehr als 40 soziale Einrichtungen direkt anfährt, darunter mehrere Obdachlosen-Wohnheime sowie Anlaufstellen für Drogenabhängige und Flüchtlingswohnheime.

Das gelingt nicht an allen sozialen Brennpunkten.  Für schrecken sorgen Berichte von einer Tafel aus dem ruhrgebiet.  in Wattenscheid wurden Ehrenamtliche attackiert, bespuckt und auf das Übelste beleidigt. Zustände, die Tafelleiter Manfred Baasner hatte kommen sehen, aufgrund der notsituationen der Kunden aber bislang tolerierte. Doch nun hat auch der 71-Jährige genug. Mehr und mehr Helfer kamen nicht mehr zur Ausgabe, aus Angst, angegriffen zu werden.  schlimme Zustände, die auch Thema beim Bundesvorstand gestern in Berlin waren. „Wenn in einer Tafel geringes Spendenaufkommen und viele neue Kunden zusammenkommen, gibt es sicher leicht die in Wattenscheid beschriebenen Probleme. In Niedersachsen und Bremen sind – Gott sei Dank – solch krasse Fälle bisher nicht bekannt geworden“, sagt Karl-Heinz Krüger, Vorsitzender des Landesverbandes Niedersachsen und Bremen.

Doch die Situation verschärft sich (siehe Text unten). Zu der wachsenden Armut in der Bevölkerung kommen auch die Flüchtlingsströme. Deutschland erwartet für 2015 so viele Vertriebene wie zuletzt vor 20 Jahren.  Für Krüger ein erwartetes Szenario. Das Angebot spricht sich eben schnell herum. Kritisch wird es dann, wenn nicht genügend Lebensmittelspenden zusammenkommen: „Das muss man vermitteln, doch das ist nicht immer leicht.“

In Wattenscheid lud sich die Atmosphäre auch deswegen auf, weil immer mehr Kunden die Tafel als günstige Alternative zum Supermarkt annahmen. Vor der Tür parkten die teuren Autos, während sich die Kunden die Tüten vollfüllen ließen. Auch nahmen sie längst nicht mehr alles kommentarlos an. „Unsere Kunden wurden fordernder“, berichtet Manfred Baasner. Wenn in Hannover verbale Eskalation droht, greift Katja Keßler ein: „Diese Personen werden sofort und unmissverständlich aufgeklärt.  Im Notfall würde eine aggressive Person der Ausgabestelle verwiesen.“ Bisher reichten die Spenden trotz steigender Kundenzahl aus.  Wenn ein Großteil der in Hannover untergebrachten Flüchtlinge aber die Tafel aufsuchen würde, reichten die Bestände keinesfalls aus, betont die Leiterin.

Karl-Heinz Krüger betont, wer Hilfe brauche, der solle sie auch bekommen. Es gehöre zur Selbstverständlichkeit der Tafeln, ihr Angebot ohne Rücksicht auf Herkunft oder Volkszugehörigkeit allen bedürftigen Menschen zu unterbreiten.  „eines aber ist klar“, sagt der Landesvorsitzende: „niemand, der sich ehrenamtlich für bedürftige Mitmenschen einsetzt, muss sich dafür anmachen, beleidigen oder gar schlagen lassen!“

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