Mehr Bedürftige: Den Tafeln gehen die Lebensmittel aus

17.10.2015 21:49

Lübeck / Die Lage spitzt sich dramatisch zu: In vielen Kommunen gehen bei der Flüchtlingsversorgung die Lebensmittel aus. Tafeln, die Bedürftige versorgen, werden überrannt.

Lübeck. Bei der Möllner Tafel heißt es: „Das Angebot ist endlich.“ Beim Trägerverein „Essen für Alle“ in Bad Oldesloe wird neuerdings rationiert. Wegen des Ansturms von Flüchtlingen werden statt zweimal nur noch einmal wöchentlich Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Auch in Lübeck wird gespendetes Essen knapp.

In den Erstaufnahmeeinrichtungen ist zunächst das Land für die Mahlzeiten der Flüchtlinge zuständig. Die nach Deutschland geflohenen Menschen erhalten dort eine Vollverpflegung. Problematisch wird es, wenn die Flüchtlinge auf dezentrale Unterkünfte in den Kommunen verteilt werden. Dort kümmern sich ganz unterschiedliche Gruppierungen um die Asylbewerber. Manche Kommunen überlassen die Flüchtlinge sich selbst oder verweisen sie ungeniert auf die Warenverteilung bei Tafeln. In der Regel haben die Flüchtlinge wenig Geld und kein Einkommen.

Bei der Segeberger Tafel sind von den 200 Bedürftigen inzwischen 130 Flüchtlinge. „Wir schaffen das gerade noch so“, sagt Tafel-Chef Hans-Joachim Wild, aber mittlerweile seien die Regale nach der Essensausgabe leegefegt.

„Wir sind am Rande unserer Kapazität“, sagt auch Betty Kloss, Leiterin der Tafel in Bad Schwartau. „Wir haben bestimmt 100 Flüchtlinge pro Woche, die zu uns kommen.“ Größtenteils seien es Einzelpersonen, aber auch Familien mit bis zu acht Kindern seien keine Seltenheit. Insbesondere Eier, Nudeln, Reis, Öl, Lammfleisch, Hähnchen und Früchte in Dosen seien Mangelware. Bei den Menschen, die zum großen Teil aus Syrien stammen, spreche sich die Unterstützung durch die Tafel rasch herum, berichtet Klaus Kibbel von der Eutiner Tafel. Seine Tafel stoße aber nicht nur an Grenzen, weil die von Discountern gespendeten Mengen nicht mehr ausreichen. „Viele Moslems bestehen auf bestimmte Lebensmittel. Aber wir können nur ausgeben, was wir einsammeln.“ Probleme bei der sprachlichen Verständigung führten zu Missverständnissen, heißt es bei vielen der 56 Tafeln im Land. So kommen Flüchtlinge oft Stunden vor Ausgabe der Mahlzeiten. Sie befürchten, dass nur derjenige eine Chance auf ein Essen hat, der zuerst kommt. Um Rangeleien am Eingang zu verhindern, hat die Bad Bramstedter Tafel einen Türsteher engagiert.

In Kappeln seien ganze Busladungen von Flüchtlingen zu Ausgabestellen gefahren worden, berichtet Frank Hildebrandt, Landesvertreter der Tafeln. In Lübeck werden 1300 Asylbewerber in 33 Gemeinschaftsunterkünften von der Gemeindediakonie betreut, im Auftrag der Stadt. Für ihre Mahlzeiten sind sie selbst zuständig. „Doch auch zu uns kommen immer mehr Flüchtlinge“, bestätigt Lothar Frenz, Vorstandsmitglied der Tafel.

KOMMENTAR: Am Ende der Kraft

Kaum ein Bereich unserer Gesellschaft ist nicht von der Flüchtlingskrise und ihren Auswirkungen betroffen. Immer mehr ehren- und hauptamtliche Helfer stoßen an die Grenzen ihrer Kräfte. Ein erster Hilferuf ans Land kam vom DRK. Jetzt sind es die Mitarbeiter von Tafeln, die sich zunehmend überfordert fühlen.

Zwei Drittel der Neukunden bei schleswig-holsteinischen Tafeln sind Flüchtlinge. Manch einer hat den Weg dorthin erst auf Empfehlung der Kommune gefunden. Erste Tafeln, die sich mit Spenden rührig um Bedürftige kümmern, melden jetzt: Lager leer, Aufnahmestopp, Personal am Ende der Kraft.

Viele Kommunen machen es sich zu einfach, wenn sie Flüchtlinge zu Tafeln schicken. Wer Deutschunterricht für Asylbewerber organisiert, sollte auch fair bei der ersten Lebensmittel-Beschaffung beraten können: So lange, wie Fremde in unserem Land nicht selber den Weg zu Aldi und Co. finden. Dieses Stück Willkommenskultur sollten wir auch noch schaffen. Niemand darf Tafeln in ihrem tollen Engagement überfordern. Das wäre kontraproduktiv.   Curd Tönnemann

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