Mit viel Ruhe und etwas Robustheit.

06.07.2017 07:33

So läuft das neue Losverfahren bei der Tafel, ein Besuch.

VON SASKIA HELMBRECHT, SPRINGE. Wie Schilder bei einer Auktion hält Klaus Bodeker die Möhren in die Luft: „Ja?" fragt er in Richtung Tresen, nickt mit dem Kopf. Seit dem Flüchtlingszuzug kommen immer mehr Migranten zur Springer Tafel, da müssen Bodeker und seine Mitstreiter häufig mit Gesten, Nicken und Zeigen arbeiten. Dazu kommt: Viele der Neuspringer kennen das deutsche Tafel-System nicht. „Andere denken, das hier wäre ein Supermarkt, dabei wird alles hier gespendet", sagt Tafel-Chef Uwe Lampe.

Ein Besuch in der Lebensmittelausgabe. Ein Freitag, 14.30 Uhr, die Ausgabe geht erst um 15 Uhr los. Zahlreiche Kunden stehen bereits Schlange an der Jägerällee, warten, bis sich die Türen endlich öffnen. Um dem Gedränge Herr zu werden, hat Lampe ein Losverfahren entwickelt. Die Berechtigungskarten werden in der Schlange eingesammelt und dann wird gelost, wer als erstes an die Reihe kommt. „Einige denken, dass sie nichts mehr bekommen, wenn sie nicht als erstes drankommen", sagt Lampe. Dabei begutachten die Ehrenamtlichen und ihre Teamleiter bereits am Mittag die Ware und schätzen ein, wie viel sie herausgeben können.

„Einige Kunden sind sehr anspruchsvoll, eine Frau wollte mal ihren Apfel umtauschen, weil er eine braune Stelle hatte. Ein anderer küsste mir die Hand vor Dankbarkeit, das war mir sogar schon peinlich", sagt Helferin Sigrid Fedde. Viel Zeit für persönliche Gespräche bleibt nicht, die grünen Kisten werden flott befüllt und überreicht. Ruhe und Robustheit seien schon wichtig, nicht jeder könne damit umgehen, wenn Kunden unzufrieden sind, weil sie ein Lebensmittel vielleicht nicht bekommen haben, sagt Fedde. „Ja, es ist ein harter Job", betont auch Lampe.

Bevor die Ausgabe startet, steht ein junges Mädchen vor der geschlossenen Tür, mit einem Korb in der Hand. Sie gibt den Helfern selbst gebackene Kekse, lächelt. Dann geht es los, Lampe ruft die ersten Kunden auf, die nächsten nehmen schon im Warteraum Platz.

Toast? Pilze? Kirschen oder Mais? Daumen hoch! „Bringen Sie Ihrer Frau doch einen Blumenstrauß mit, da freut sie sich", sagt Fedde zu einem Kunden, der die Blumen annimmt, lächelt und sich bedankt. „Ein schönes Wochenende", schiebt sie hinterher. So hektisch es auch ist, die Mitarbeiter bleiben höflich gelassen, fangen nicht an, zu diskutieren. Während sie die Waren in den Kisten verstauen, kommen wenige Kunden doch durch die Tür, obwohl sie noch nicht an der Reihe sind. „Stop, Sie müssen noch draußen warten", ruft Fedde. Dann tritt der Schneeballeffekt ein: Einer macht es vor, alle kommen nach, Lampe muss sie wieder rausschicken. Die Kinder toben vor dem Tresen herum, spielen Fangen. Es ist Ende des Monats heute sind noch mehr Kunden da, die Zahl steigt immer weiter.

Um sich die Wartezeit zu verkürzen, gibt es vor dem Tresen weitere Kisten zur Selbstbedienung, die Kinder schnappen sich die Bananen und spielen draußen weiter, wie auf einem Marktplatz. Die Mitarbeiter kennen ihre Kunden, einige mögen kein Fisch, viele lehnen Schweinefleisch ab. „Das essen Sie doch auch gerne oder?", fragt Fedde und hält Mangos hoch. Es riecht nach frischen Brötchen und Erdbeeren, in einer Tiefkühltruhe gibt es sogar Pizza. Doch frisches Obst und Gemüse geht am besten weg. Was übrig bleibt, kommt zur Tafel in Bad Münder. Meist sind das zwischen 30 und 40 volle Kisten. Dort ist am Folgetag Ausgabe.

Etwa 50 Ehrenamtliche sind derzeit bei der Tafel im Einsatz. Außerdem werden wieder zwei Bundesfreiwilligendienstleistende gesucht. Gerade bei den Fahrbereitschaften ist hartes Arbeiten angesagt, schwere Kisten müssen getragen werden. Anfang des Jahres sorgte die Berliner Tafel für negative Schlagzeilen. Eine TV-Reportage zeigte, wie Mitarbeiter Lebensmittel mit nach Hause nehmen. „Das gibt es hier zum Glück nicht, dafür ist unsere Einrichtung in Springe zu transparent und die Mitarbeiter zu ehrlich", sagt Lampe.

Gegen einen Obolus im Spendenschwein dürfen sich die Mitarbeiter aber auch mal etwas mitnehmen, das abgelaufen ist. Lampe ist es wichtig, dass trotz der stressigen Situation ein gutes Arbeitsklima herrscht. Gemeinsam fährt das Team im August nach Hamburg ins Miniaturwunderland. Im September will er außerdem einen kulturellen Nachmittag organisieren. „Das persönliche Wort kommt bei der Ausgabe schon mal zu kurz", erklärt er. Kunden und Helfer können dann gemeinsam essen, was von der Tafel gestellt wird.

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